Der Führerschein ist für Senioren mehr als nur ein Stück Plastik – er steht für Mobilität und Freiheit. Doch wie sicher fahren sie wirklich? Zwei stern-Redakteure diskutieren.
Jacqueline Haddadian: Eugen, hast du das mitbekommen? Das Europaparlament hat kürzlich neue Regeln für den Führerschein beschlossen. Unter anderem hat es sich dagegen entschieden, dass Autofahrer ab 70 Jahren alle fünf Jahre zum Gesundheitscheck müssen – zum Glück!
Eugen Epp: Jacqueline, jetzt mal Tacheles! Senioren ab einem bestimmten Alter sollten ihren Führerschein abgeben müssen – spätestens ab 80 Jahren. Es ist doch bekannt, dass im höheren Alter Körper und Geist schwächer werden. Sowohl die Senioren am Steuer als auch die anderen Verkehrsteilnehmer müssen geschützt werden. Da geht es im schlimmsten Fall um Leben und Tod. Ältere Menschen nehmen häufiger anderen die Vorfahrt, halten sich beim Abbiegen nicht an die Verkehrsregeln oder verzichten auf den Schulterblick. Alles Dinge, die wir in der Fahrschule gnadenlos eingeschärft bekommen haben.
Haddadian: Ist das tatsächlich so? Auch ältere Menschen waren in der Fahrschule und kennen die Verkehrsregeln. Außerdem zeigen Daten des Statistischen Bundesamts, dass ältere Autofahrer – gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung – seltener in Verkehrsunfälle verwickelt sind als jüngere. Es wird also wahrscheinlich die Straßen nicht viel sicherer machen, wenn wir die Älteren fernhalten.
Epp: Ältere Menschen sind generell weniger unterwegs als jüngere – allein schon, weil sie nicht mehr zur Arbeit fahren müssen. Aber die gleichen Daten zeigen auch: Wenn ältere Fahrer an einem Unfall beteiligt waren, hatten sie meist Schuld: Die über 65-Jährigen waren in zwei Dritteln der Fälle, die über 75-Jährigen sogar in drei Vierteln der Fälle die Hauptverursacher. Es dürfte also durchaus einen Zusammenhang geben.
Zwischen Freiheit und Sicherheit
Haddadian: Sicherheit ist allerdings nur ein Punkt bei der Debatte, es geht auch um Lebensqualität. Wenn wir Menschen ab einem gewissen Alter den Führerschein wegnehmen, verlieren sie einen großen Teil ihrer Selbstständigkeit und Mobilität. Sie kommen nicht mehr so einfach zum Arzt, können nicht mehr so spontan einkaufen oder Freunde und Familie besuchen. Und gerade auf dem Land können sie nicht ohne Weiteres auf Bus und Bahn ausweichen. Wir können die Älteren nicht einfach abhängen.
Epp: Dann ist das nur ein weiteres Argument dafür, den öffentlichen Nahverkehr endlich auch auf dem Land auszubauen. Dafür gibt es viele Gründe – und nicht nur Senioren würden davon profitieren. Wer dann nicht in der Lage ist, mit dem Bus oder Zug zu fahren, der sollte vielleicht auch lieber kein Auto steuern.
Haddadian: Zum Bus oder Zug muss man auch erst mal kommen – in manchen Regionen gibt es eben nicht alle paar hundert Meter eine Haltestelle. Keinen Führerschein zu haben, erschwert die Teilnahme am Leben enorm.
Epp: Aber es gibt ja nicht umsonst den schönen Spruch: Safety first. Die Sicherheit im Straßenverkehr sollte bei dieser Diskussion an erster Stelle stehen.
Dürfen ältere Menschen ihren Füherschein um jeden Preis behalten?
© IMAGO
Führerschein im höheren Alter abgeben – eine realistische Forderung?
Haddadian: So einfach ist das aber nicht. Eine pauschale Regelung, bei der man allen Menschen aufgrund ihres Alters den Führerschein entziehen würde, wäre Altersdiskriminierung und damit nicht gesetzeskonform. Es sind doch nicht alle in dem Alter gleich körperlich beeinträchtigt.
Epp: Das müssten dann die Gerichte entscheiden. Aber selbst wenn: Zumindest Gesundheitstests sollten auf jeden Fall verpflichtend sein, so wie in einigen anderen Ländern auch.
Haddadian: Außerdem würde ein Entzug des Führerscheins nicht zwangsläufig dazu führen, dass Senioren nicht mehr Auto fahren. Im Gegenteil: Dann fahren einige eben heimlich. Das löst das Problem auch nicht.
Epp: Die Gefahr besteht theoretisch immer, wenn Menschen keinen Führerschein haben. Die Hemmschwelle wäre aber schon sehr hoch, sich ans Steuer zu setzen, wenn man es eigentlich nicht dürfte.
Haddadian: Gut, aber neben den ganzen rationalen Punkten dürfen wir nicht vergessen, dass das Thema für viele ältere Menschen auch sehr emotional ist. Für sie hat der Führerschein etwas mit Selbstständigkeit und mit Selbstwert zu tun. Wir sollten sie nicht bevormunden.
Epp: Das ist absolut nachvollziehbar. Am besten wäre es natürlich, wenn Senioren sich selbst realistisch einschätzen und zu gegebener Zeit freiwillig ihren Führerschein abgeben würden. Leider sind viele nicht so vernünftig oder haben eine falsche Selbsteinschätzung.
Was tun ohne Führerschein?
Haddadian: Und dann? Es bräuchte einen Anreiz, den Führerschein abzugeben. Zum Beispiel, dass jeder über 70, der freiwillig auf den Führerschein verzichtet, ein Deutschlandticket auf Lebenszeit bekommt. Oder ein Kontingent an Taxischeinen. Aber das wird sicherlich wieder niemand bezahlen wollen.
Epp: Trotzdem bleibt das Thema Eigenverantwortung schwierig. Niemand möchte sich von den Kindern oder Enkeln sagen lassen, dass er nicht mehr Auto fahren kann. Und gerade weil es ein schleichender Prozess ist, den man nicht immer wahrnimmt oder nicht wahrnehmen will, ist es wichtig, klare Grenzen zu ziehen. Ab einem gewissen Alter muss jemand anderes entscheiden, ob eine Person noch Auto fahren darf oder nicht.
Was meinen Sie, liebe Leserinnen und Leser? Stimmen Sie oben ab oder schreiben Sie uns eine Mail mit Ihrer Meinung an [email protected] und [email protected].