Ernährung: Der Hype um die Urmilch: Wie gesund sie wirklich ist

Die sogenannte A2-Milch erobert die Supermarktregale. Die Urmilch soll vor Blähungen und Entzündungen schützen. Ist das nur ein Mythos oder stimmt das wirklich?

A2- und A1-Milch: Das ist der Unterschied

Der Unterschied zwischen herkömmlicher Milch und A2-Milch liegt im Eiweiß: A2-Milch enthält ausschließlich das sogenannte A2-Beta-Kasein. Die Milch, die typischerweise von Rinderrassen in unseren Breiten kommt, enthält dagegen vor allem A1-Beta-Kasein, oft gemeinsam mit der A2-Variante. Welche Eiweißform in der Milch vorkommt, hängt von der genetischen Ausstattung der Kuh ab: Manche geben reine A1- oder reine A2-Milch, viele eine Mischung aus beiden.

Die österreichische Ernährungswissenschaftlerin und Diätologin Ursula Pabst erklärt, wie sich der Unterschied im Körper auswirkt: „Bei der Verdauung von A1-Beta-Kasein kann das Peptid Casomorphin-7 entstehen, das auf Opioidrezeptoren im Darm wirkt. Dadurch kann sich die Darmbewegung verlangsamen und möglicherweise werden auch Entzündungen gefördert.“ Vereinfacht gesagt: A2-Milch setzt beim Abbau weniger Stoffe frei, die im Verdacht stehen, Verdauungsprobleme zu begünstigen.

Ist A2-Milch wirklich besser verträglich?

Einige Studien liefern tatsächlich Hinweise darauf, dass A2-Milch für manche Menschen bekömmlicher sein könnte, beispielsweise wenn Beschwerden wie Blähungen oder Bauchschmerzen auftreten, obwohl keine Laktoseintoleranz vorliegt. Diskutiert wird auch ein möglicher Zusammenhang mit Entzündungsreaktionen oder einem veränderten Risiko für Krankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Leiden.

Ob das am Eiweißprofil liegt oder am Placeboeffekt, ist unklar. „Es gibt keine eindeutige Evidenz“, erklärt Pabst. Viele Untersuchungen stammen von Herstellern, unabhängige Studien sind oft klein, zu kurz angelegt oder widersprüchlich. Um klare Aussagen zu gesundheitlichen Effekten von A2-Milch treffen zu können, braucht es mehr Forschung.

Wie A2-Milch entstand und vermarktet wird

Warum es heute A1- und A2-Milch gibt, lässt sich vermutlich auf eine genetische Mutation zurückführen. Heute geht man davon aus, dass ursprünglich alle Rinderrassen A2-Erbgut trugen. Vor etwa 5000 bis 10.000 Jahren veränderte sich bei einigen Rindern ein Baustein des Beta-Kaseins: An einer Position im Beta-Kasein wurde die Aminosäure Prolin durch Histidin ersetzt. So entstand das A1-Protein. Es setzte sich bei modernen Hochleistungsrassen wie dem Holstein-Rind durch, während alte Rassen wie Jersey- oder Guernsey-Rinder und viele afrikanische und asiatische Rinderrassen häufiger reines A2-Beta-Kasein liefern.

 

Die verschiedenen Milchproteine wurden in den 1990er Jahren von dem neuseeländischen Wissenschaftler Dr. Corran (Corrie) McLachlan entdeckt. Im Jahr 2000 gründete McLachlan die A2 Corporation, heute The a2 Milk Company, und brachte im Jahr 2003 in Australien und Neuseeland die ersten A2-Milch-Produkte auf den Markt. Australien und Neuseeland sind bis heute starke Absatzregionen. Inzwischen ziehen aber auch China, Indien, die USA und Länder wie Holland, Österreich und Großbritannien nach. Im Jahr 2024 hatte der globale Markt für A2-Milch ein Volumen von rund 2,4 Milliarden US-Dollar. In zehn Jahren soll er auf rund 5,4 Milliarden US-Dollar steigen.

A2-Milch wird nicht nur als Trinkmilch angeboten, sondern auch zu Produkten wie Joghurt, Käse, Butter, Eiscreme oder Babynahrung weiterverarbeitet. In Deutschland ist Trinkmilch bisher das verbreitetste Produkt. Varianten wie Joghurt, Käse oder Babynahrung sind zwar erhältlich, werden aber deutlich seltener verkauft und finden sich vor allem in Bioläden oder Online-Shops.

Warum wird A2-Milch auch Urmilch genannt?

„Der Begriff suggeriert eine besonders ursprüngliche und natürliche Milch“, sagt Pabst. Dabei handle es sich aber vor allem um Marketing. „Da man davon ausgeht, dass die Milch alter Rinderrassen ausschließlich A2-Beta-Kasein enthielt, soll die Bezeichnung Urmilch diesen ursprünglichen Zustand betonen“, so die Ernährungsexpertin. 

Fakt ist jedoch, dass A2-Milch heute gezielt durch spezielle Zuchtprogramme gewonnen und durch moderne Verfahren verarbeitet wird. Für das Image der Urmilch zahlen Verbraucherinnen und Verbraucher im Handel spürbar mehr als für herkömmliche Milch: A2Milch kostet im Einzelhandel oftmals 50 Prozent oder mehr als gewöhnliche Milch, obwohl die Produktionskosten ähnlich sind.

Wann kann A2-Milch tatsächlich die bessere Wahl sein?

„Wer herkömmliche Milch schlecht verträgt, ohne an einer Laktoseintoleranz zu leiden, kann A2-Milch ausprobieren“, sagt Pabst. Eine vermeintliche Verbesserung könne aber auch immer am Glauben an das Produkt liegen, also am Placeboeffekt. 

Ist A2-Milch für Menschen mit Kuhmilchallergie geeignet?

Nein. A2-Milch enthält genauso wie A1-Milch allergieauslösende Eiweiße. Für Menschen mit Kuhmilchallergie ist sie daher keine Alternative. Auch bei Laktoseintoleranz bringt sie keinen Vorteil – es sei denn, sie wurde mit dem Enzym Laktase behandelt und ist laktosefrei.

Fazit

A2-Milch ist vor allem ein Lifestyle-Produkt mit Gesundheitsversprechen, deren wissenschaftliche Basis bisher noch sehr dünn ist. Für Menschen mit Laktoseintoleranz oder Kuhmilchallergie ist sie keine Alternative. Ob A2-Milch tatsächlich einen Mehrwert bietet und ob man bereit ist, dafür einen stattlichen Preis zu zahlen, muss jede und jeder selbst entscheiden. „Manchmal zählt am Ende vor allem das gute Gefühl, etwas für sich und die Gesundheit zu tun“, sagt Pabst.