Visa Vie erhielt 2021 eine Diagnose, die ihr Leben veränderte: Typ-1-Diabetes. Hier spricht sie über ihren neuen Alltag und ihre Rolle als Botschafterin für eine inklusive Barbie.
Lottie, besser bekannt als Visa Vie, ist DJ, Musikjournalistin, Moderatorin, Podcasterin und Autorin. Doch seit 2021 Long Covid und Typ-1-Diabetes bei ihr diagnostiziert wurden, hat sich ihr Leben radikal verändert. Heute feiert sie mit ihrem Podcast „Plothouse“ große Erfolge, erst kürzlich war ihr Live-Auftritt im November in der Hamburger Elbphilharmonie innerhalb weniger Minuten restlos ausverkauft. Im stern-Interview spricht sie über den langen Weg zur Akzeptanz ihrer Krankheit und ihre Rolle als Botschafterin für eine inklusive Barbie, die, genau wie Lottie, eine Insulinpumpe am Bauch trägt.
Visa Vie, Sie haben Ihre Diabetes-Typ1-Diagnose im Rahmen einer Long-Covid-Diagnose 2021 erhalten. Wie hat sich Ihre Gesundheit entwickelt und wie geht es Ihnen heute?
Im Vergleich zu damals geht es mir wesentlich besser. Leider ist es immer noch nicht so wie vor 2021, aber ich habe das Gefühl, auf einem guten Weg zu sein.
Wann war Ihnen klar, dass Sie das öffentliche Bewusstsein für die Krankheit stärken wollen?
Von der ersten Sekunde an war mir klar, dass ich darüber sprechen muss. Nicht, um Mitgefühl zu erhaschen, sondern um darüber aufzuklären. Ich habe schon im Krankenhausbett angefangen zu recherchieren, zu den anderen Diagnosen, aber vor allem zu Diabetes Typ 1. Rückblickend habe ich nach der Diagnose selbst ziemlich merkwürdige Fragen zur Krankheit gestellt. Ich dachte – wie wahrscheinlich die meisten – ich hätte eigentlich eine Ahnung, was Diabetes mit sich bringt. Aber ich hatte – ebenfalls wie der Großteil der Menschen, ohne es zu wissen- unfassbar viele Vorurteile in mir und gar keine Ahnung.
Ihnen eilt Ihr Ruf voraus: als erfolgreiche Musikjournalistin, DJ, Autorin und Moderatorin. Wie hat sich Ihr Berufsleben verändert, seitdem Sie chronisch krank sind?
Einerseits extrem, andererseits überhaupt nicht. Ich habe das Glück, mich auf mehreren Standbeinen zu bewegen. Einige davon, das live moderieren, auflegen und Drehen sind komplett weggebrochen. Dabei war das jahrelang mein Lebensinhalt: Ich war jede Woche in einer anderen Stadt, habe Festivals und Veranstaltungen moderiert oder stand irgendwo vor der Kamera. In den letzten Jahren habe ich fast jede Anfrage in diese Richtung abgesagt, so ist mein Arbeitsradius immer kleiner geworden. Verrückterweise ist der Radius, in dem ich Menschen erreiche, aber jetzt größer denn je.
Durch Ihren Erfolg als Podcasterin?
Ja, durch meine Podcasts, die ich aus meinen vier Wänden heraus aufgenommen habe. Zum Glück war ich durch meine Erkrankungen nie so stark kognitiv eingeschränkt, wie andere Menschen mit Long-Covid. Ich konnte sogar das Covershooting für meinen letzten Podcast zuhause machen und habe mir ein kleines Studio gebaut, was ein riesiges Privileg ist. Ich recherchiere aus dem Bett heraus und mittlerweile vermisse ich auch nicht mehr, was ich mal hatte. Es ist okay für mich, dass jetzt andere Leute meine alten Jobs machen. Ab und zu schaffe ich es auch, auf eine Bühne zu gehen.
Seit kurzem haben Sie die Sichtbarkeit für Diabetes Typ 1 verstärkt und sind Botschafterin einer inklusiven Barbie geworden. Die hat, genau wie Sie, eine Insulinpumpe. Was hat Sie bewegt, ein Teil davon zu werden?
Das war der erste Dreh seit dreieinhalb Jahren, für den ich mich aus meinem Kabuff rausgetraut habe, rein in ein Studio mit 30 Menschen – trotzdem musste ich keine Sekunde darüber nachdenken. Diese Barbie trägt die gleichen Gadgets wie ich und sehr viele andere Betroffene, das ist ein absoluter Meilenstein was die Sichtbarkeit und Normalisierung rund um diese Erkrankung betrifft. Zudem habe ich bei dem Thema extrem viel Nostalgie verspürt. Die kleine Lottie wäre komplett durchgedreht. Ich war von allen Kindern die allergrößte Barbieliebhaberin. Ich habe mein ganzes Taschengeld in sie investiert und extrem lange mit ihnen gespielt. Deshalb bin ich natürlich auch ganz stolz, ein Teil davon zu sein.
Barbie steht, vor allem seit dem Film von Greta Gerwig, immer wieder in der Kritik, wegen unrealistischen Schönheitsnormen und mangelnder Diversität. Stößt Barbie als Repräsentationsfigur an Grenzen?
Man ist sicher noch lange nicht am Limit angekommen, was Diversität und Inklusion betrifft. Wenn ich aber die heutigen Barbies mit denen vergleiche, die es damals gab, dann sehe ich schon eine positive Entwicklung. Es gab halt früher nur die perfekte 90-60-90 Barbie und verschiedenen Körperformen oder chronische Erkrankungen wurden leider überhaupt nicht abgebildet, das ändert sich zum Glück immer mehr. Aber wenn Menschen Kritik äußern, ist das trotzdem wichtig und richtig. Denn da ist natürlich immer noch Luft nach oben und Potenzial, sich weiterzuentwickeln.
Das Stattfinden allein spielt eine große Rolle in der Frage nach Repräsentation?
Ja, in der Diabetes-Community ist sowas ein absolutes Highlight. Wenn in einer Netflix Serie mal kurz jemand mit einem Sensor auftaucht, rasten alle aus. Dann gibt es verlässlich einen Haufen Memes und Beiträge dazu. Ich glaube, bei der amerikanischen Version von Love Island war auch gerade erst eine Kandidatin mit Typ 1 Diabetes, mit sichtbarem Sensor und Pumpe. Das sorgt immer dafür, dass sich weltweit Menschen aus dieser Community freuen, weil diese Sichtbarkeit sonst nicht gegeben ist. Es gibt nämlich gar nicht so viele Menschen mit Typ 1, wie man denkt. Typ 2 kommt weitaus häufiger vor. Dass es jetzt diese Barbie gibt, ist also wirklich ein riesiges Ereignis!
Was würden Sie jemandem sagen, der gerade die Diagnose Typ 1 Diabetes bekommen hat?
Auch, wenn ich das selbst zu dem Zeitpunkt nicht hören wollte: es wird irgendwann ein bisschen besser. Die Anfangszeit ist besonders schlimm – diese Umstellung von einem unbeschwerten Leben, zu der Tatsache, dass man auf einmal 24/7 die Aufgabe eines Organs übernehmen muss. Von dieser Aufgabe gibt es keinen Feierabend, nicht mal nachts und sich daran zu gewöhnen ist hart.
In welchen Momenten haben Sie die Umstellung besonders stark gespürt?
Als ich zum ersten Mal mit einer größeren Gruppe zusammen gegessen habe und verstanden habe, dass ich die einzige bin, für die jeder Schluck, jeder Bissen Konsequenzen hat und das kaum jemand nachvollziehen kann. Da bin ich aufgestanden und habe heimlich auf der Toilette geweint. Ich war überfordert und habe mich allein gefühlt. Nach mittlerweile Dreieinhalb Jahren ist die Erkrankung auf eine erträgliche Art Teil meines Lebens geworden. Man braucht Zeit dafür, manchmal auch Jahre, bis man sich damit arrangiert hat. Diabetes Typ 1 ist der unangenehme, aber auch normale Begleiter, der mir im Nacken sitzt. Ich verfluche ihn oft, aber manchmal hat er vielleicht sogar etwas Gutes an sich. Ich passe viel mehr auf mich auf und lebe bewusster.
Typ 1 Diabetes wird leider allzu oft mit Typ 2 Diabetes verwechselt. Können Sie erklären, wo der Unterschied liegt?
Typ 1 Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung. Ein Mechanismus zerstört die körpereigenen Zellen, die in der Bachspeicheldrüse eigentlich dafür zuständig sind, Insulin zu produzieren. Das Fatale daran: wenn diese Zellen erstmal zerstört sind, können sie auch nicht wieder zurückgeholt werden. Dann ist man für den Rest seines Lebens von außen auf Insulin angewiesen. Diabetes Typ 2 ist keine Autoimmunerkrankung. Hier ist der Körper nur noch bedingt in der Lage, Insulin zu produzieren oder auf Insulin zu reagieren. Es ist zwar vererbbar, kann aber auch erworben sein, zum Beispiel durch einen ungesunden Lebensstil. Typ 2 ist umkehrbar, im besten Fall kann man mit Ernährungsumstellung oder Bewegung entgegenwirken. Außerdem ist man mit Typ 2 nicht zwangsläufig auf Insulin von Außen angewiesen. Und, die größte Anzahl an neu diagnostizierten Menschen mit Typ 2 ist um die 60 Jahre alt. Früher hat man deshalb von „Altersdiabetes“ gesprochen und vom „juvenilen“ Diabetes in Bezug auf Typ 1, weil der oft im Kindes- oder Jugendalter auftritt, aber die Grenzen verschwimmen heutzutage immer mehr.
Trotzdem ist vielen nur der Oberbegriff „Diabetes“ geläufig.
Es nervt mich total, dass durch den Oberbegriff alles in einen Topf geworfen wird. Menschen geben mir ungefragt gut gemeinte, aber sehr schlechte Ratschläge. Deshalb spreche ich immer von „Typ 1 Diabetes“.
Gibt es noch mehr Dinge, die Sie sich im Umgang mit der Krankheit wünschen?
In den Medien wird die Krankheit oft zu einseitig dargestellt. Berichte werden mit Menschen illustriert, die einen Burger essen. Oder mit 20 Zuckerwürfeln, die aufeinandergestapelt sind. Dabei ist es so viel komplexer. Es mangelt auch an spezifischem Wissen. Zum Beispiel darüber, dass Diabetes Typ 1 die häufigste Stoffwechselerkrankung bei Kindern ist. Eltern dieser Kinder werden oft mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Kinder hätten zu viele Süßigkeiten bekommen, was natürlich kompletter Quatsch ist. Aber vielleicht hätte ich es eben vor meiner Diagnose auch nicht besser gewusst.