Der CDU ist jede Kooperation mit den Linken verboten. Eigentlich. Seit der Kanzlerwahl aber ist die Debatte neu entfacht. Das könnte einen heftigen Dominoeffekt auslösen.
Es hat mal wieder nicht im ersten Anlauf geklappt. Aber am vergangenen Dienstag, den 6. Mai, 16.15 Uhr, hatte Friedrich Merz das Ziel seiner Träume erreicht: Bundeskanzler, endlich. Ein bisschen Warten, reichlich Zittern, ja, aber wer wird in einigen Monaten daran denn noch denken? Wenn er sich da mal nicht täuscht.
Die Abläufe der Wahl haben eine Sollbruchstelle der CDU offengelegt. „Ich bin den Linken sehr, sehr dankbar, dass sie das mit möglich gemacht haben“, sagt ausgerechnet Unionsfraktionschef Jens Spahn in der ARD, fünf Tage nach der Kanzlerwahl. Wie bitte? Die Worte „dankbar“ und „Linke“ in einem Satz?
Nur mit Hilfe der Linken konnte Merz so schnell Kanzler werden
Der Grund: Nur mit Hilfe der Linkspartei war – nach stundenlangen Verhandlungen – der zweite Wahlgang an jenem Dienstag durchführbar. Die Linken mussten einer Änderung der Regularien zustimmen, um eine Hängepartie zu verhindern. Nur mit ihnen und den Grünen zusammen kommt die schwarz-rote Koalition noch auf eine Zweidrittelmehrheit.
Eine Mehrheit, die es eigentlich gar nicht geben dürfte, so sehen es viele in der CDU. Und so tobt seither über die Absprache mit den Linken eine Debatte, die zur Zerreißprobe für die Partei werden kann. Ende des Jahres soll eine Schuldenbremsenreform stehen. Auch dafür bräuchte es die Mithilfe von ganz links. Geht das?
Die AfD ist die Partei des Rechtsextremismus, sie ist eine Gefahr für unsere liberale Demokratie
Spahn betont in der ARD, dass die Linke für jede weitere Zusammenarbeit mit der CDU ihre Positionen überdenken müsse. Es gilt weiterhin der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU zu ihnen – genau wie zur AfD. 2018 beschloss ein Parteitag: „Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.“
Nur, ist diese Gleichsetzung zeitgemäß? Und vor allem: Ist sie noch praxistauglich?
Partei-Vize Prien wirbt für pragmatischen Umgang mit der Linken
Mit an der Spitze jener, die eine Öffnung vertreten, steht die stellvertretende CDU-Vorsitzende Karin Prien. Die neue Superministerin für Familie und Bildung findet, dass der Unvereinbarkeitsbeschluss keine Gleichsetzung von AfD und Linkspartei bedeuten dürfe. Zwar stünden beide Parteien „im fundamentalen Gegensatz“ zur Union, sagt Prien, aber sie unterschieden sich genauso fundamental.
„Die AfD ist die Partei des Rechtsextremismus, sie ist eine Gefahr für unsere liberale Demokratie“, das sei die Linke nicht. Die Union müsse daher „pragmatisch abwägen“ und „die Stabilität der demokratischen Institutionen“ im Blick haben, wie Prien sagt: „Unsere Zeit verlangt von allen demokratischen Kräften in Deutschland mehr Ambiguitätstoleranz und weniger Dogmatismus.“ Priens bisheriger Chef, Daniel Günther, CDU-Ministerpräsident in Kiel, spricht schon länger so.
Sogar Merz‘ engster Vertrauter Thorsten Frei öffnete am Morgen nach der Kanzlerwahl die Tür für einen Spalt. Man müsse, sprach er mit Blick auf die Linken, „die eine oder andere Frage neu bewerten“. Tags darauf relativierte er die Aussage aber rasch: Niemand habe die Absicht, den Unvereinbarkeitsbeschluss zu ändern.
Freis Zurückrudern zeigt, wie toxisch in dieser Debatte jedes Wort scheint.
Die Linken-Frage stürzt die CDU in ein dreifaches Dilemma
Zwar ist die Frage, wie es die Union mit der Linken hält, so alt wie die Wiedervereinigung. Doch seit Linke und AfD im Bundestag gemeinsam über mehr als ein Drittel der Stimmen verfügen, stellt sie sich drängender denn je. Und führt die Union tief in ein dreifaches Dilemma.
Historisch rührte eine Öffnung gegenüber der einstigen SED am antikommunistischen Kern von CDU und CSU. Wahlstrategisch dürfte sie Teile der konservativen Klientel verprellen. Ideologisch, so die Sorge der Parteiführung, könnte sie einen gefährlichen Automatismus auslösen: Immer dann, wenn vorsichtig eine Zusammenarbeit mit der Linken debattiert wird, folgt von rechts die Forderung, auch den Umgang mit der AfD zu normalisieren. Gerade im Osten.
Ich glaube, dass jetzt auch in Berlin angekommen ist, was wir in Erfurt gelernt haben. Bei schwierigen Mehrheitsverhältnissen gilt es, mit Umsicht abzuwägen und pragmatisch zu handeln
Längst ist klar, wie gefährlich der 2018 gefasste Beschluss werden kann. Schon ein Jahr später konnte in Thüringen keine Regierung mehr ohne Beteiligung von Linke und AfD gebildet werden. Der Unvereinbarkeitsbeschluss führte erst zu einer Regierungskrise im Freistaat, der Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten mit Hilfe der AfD – und schließlich zum Rückzug von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in Berlin. Könnte auch Parteichef Merz über diese Frage stolpern?
Ministerpräsident Voigt wirbt in seiner Partei für Pragmatismus
Als Merz vergangene Woche im Bundestag durchfiel, saß Mario Voigt auf der Bundesratsbank und fühlte sich an Thüringen erinnert. „Ich glaube, dass jetzt auch in Berlin angekommen ist, was wir in Erfurt gelernt haben“, sagte der Ministerpräsident. „Bei schwierigen Mehrheitsverhältnissen gilt es, mit Umsicht abzuwägen und pragmatisch zu handeln.“ Dazu gehöre auch die Notwendigkeit, zu differenzieren. Für Voigt heißt das konkret: „Mit einer Partei, die nicht wie die AfD auf einen Systemsturz hinarbeitet, kann die CDU jenseits aller grundsätzlichen Differenzen parlamentarische Absprachen aus staatspolitischer Verantwortung treffen.“
Viele in der Partei sehen das fundamental anders. „Mit der Linkspartei darf es keine normale Zusammenarbeit geben“, sagt etwa Christoph Ploß, Chef der Landesgruppe Hamburg in der Unionsfraktion. Für ihn ist die Linke eine „umbenannte Mauer- und Schießbefehlpartei“. Abstimmungen zu parlamentarischen Abläufen wie bei der Kanzlerwahl seien das Maximum.
„Ihre sozialistische Ideologie sollte die Linkspartei nicht zum Verhandlungs- oder Abstimmungspartner in politischen Fragen machen“, mahnt Ploß. So denken viele in der Union. Bisher auch Parteichef Merz. Wobei es ironisch wirkt, dass Merz gleich doppelt dafür gesorgt hatte, dass die alte Falle zuschnappt. Er war es, der die Linke durch seine Asylabstimmung mit der AfD mitten im Wahlkampf politisch reanimierte. Und er war es auch, der auf ihre Mithilfe angewiesen war – und so der Linken echten Einfluss verschaffte.
Die schwierige Debatte um Antisemitismus auf dem Linken-Parteitag
Dieses neue Selbstbewusstsein war auf dem Parteitag der Linken direkt spürbar. Vergangener Freitag, die Messehalle von Chemnitz. In der ersten Reihe sitzt Parteichefin Ines Schwerdtner, die im Bundestag beim entscheidenden Gespräch dabei war, als über den zweiten Wahlgang verhandelt wurde. „Wir haben erreicht, dass uns CDU und CSU erstmals einbanden und sich danach öffentlich dafür bedanken mussten“, sagt sie. „Nun erwarten wir, dass sie nicht nur dann auf uns zukommen, wenn wieder einmal die Hütte brennt.“
Später allerdings schwächte die Linke auf dem Parteitag ihre Definition von Antisemitismus ab, was weitere Annäherungen erschweren dürfte. Familienministerin Prien, deren Großväter Juden waren, nennt diesen Beschluss „völlig unverständlich“, Ploß ihn einen „Antisemitismus-Skandal“.
CDU-General Carsten Linnemann sagt: „Die unsägliche Verharmlosung von Antisemitismus auf dem Parteitag hat die Linken noch extremer von der CDU entfernt als ohnehin schon.“ Seine Haltung sei klar: „Für mich kann es keine politische Zusammenarbeit mit der Linkspartei geben, solange dort extremistische Gruppen mitmachen.“
Linnemann schwört die Partei auf die Unvereinbarkeit ein
Hält dieser Satz des Generalsekretärs der Parlamentspraxis stand, der Wirklichkeit? Bald müssen drei Bundesverfassungsrichter mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Dazu haben Union und SPD verabredet, noch in diesem Jahr die Schuldenbremse zu reformieren. Auch wenn einige CDUler hoffen, die Kommission möge ewig tagen: Irgendwann wird votiert – mit der Linken.
Linnemann versucht es deshalb vorsorglich per Machtwort: „Der Unvereinbarkeitsbeschluss ist gut so, wie er ist.“ Der Streit dürfte sich bis ins nächste Jahr ziehen, bis zum Showdown auf dem CDU-Parteitag im Januar oder Februar. Nur dieses Gremium könnte den Beschluss abschwächen – und eine selbstzerstörerische Debatte auslösen, um die Brandmauer zur AfD.
Vielleicht wird Friedrich Merz also noch öfter an diesen Dienstag im Mai denken müssen, als ihm lieb sein kann.