Türkei: Richter vertagt Anhörung zu angeblichem Betrug bei Parteitag der CHP

Ein Verfahren vor einem Gericht in Ankara, das zur Absetzung des Parteichefs der größten türkischen Oppositionspartei CHP führen könnte, ist bis September vertagt worden. In dem Prozess könnten die Richter das Ergebnis der Vorstandswahlen beim CHP-Parteitag im November 2023 wegen angeblicher Bestechung für null und nichtig erklären. Bei dem Parteitag war Özgür Özel zum Nachfolger des langjährigen Parteichefs Kemal Kilicdaroglu gewählt worden.

Der Richter begründete die Vertagung des Verfahrens bis zum 8. September türkischen Medienberichten zufolge mit einer Überprüfung der Zuständigkeit „in der Strafsache“. 

Die Opposition bezeichnet den Prozess als politisch motiviert. Aus ihrer Sicht soll die linksnationalistische CHP unter Druck gesetzt werden, nachdem sie nach der Festnahme ihres Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu im März eine Protestwelle gegen die Regierung des islamisch-konservativen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan angestoßen hatte. Zudem legt die CHP derzeit in Umfragen zu.

Parteichef Özel kritisierte die Vertagung des Verfahrens am Montag im Onlinedienst X als „politisches“ Manöver, das darauf abziele, „unsere Partei zum Gegenstand von Debatten zu machen, unseren Weg zur Macht zu beenden und unsere Kampfbereitschaft zu brechen“. „Wir werden niemals von unserem Ziel abweichen“, erklärte Özel, der am Samstag in Berlin beim Parteitag der SPD, der deutschen Schwesterpartei der CHP, eine Rede gehalten hatte.

Die CHP hat für Dienstagabend zu einer Protestkundgebung vor dem Istanbuler Rathaus aufgerufen, um an die Verhaftung von Imamoglu vor 100 Tagen zu erinnern.

Der Staatsanwalt von Ankara hatte im Februar Ermittlungen wegen angeblichen Stimmenkaufs beim CHP-Parteitag eingeleitet. Die CHP weist die Vorwürfe zurück. Medienberichten zufolge droht mehreren CHP-Vertretern, darunter Imamoglu, eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren und ein Politikverbot wegen Betrugs. 

Sollte die Wahl von Parteichef Özel für nichtig erklärt werden, erwarten Beobachter zudem eine Zerreißprobe für die CHP. In diesem Fall dürfte der Parteivorsitz wieder Özels Vorgänger Kilicdaroglu zufallen. Der 76-Jährige war Erdogan bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2023 deutlich unterlegen. 

Wenige Monate nach Özels Amtsantritt war der CHP im März 2024 bei den Kommunalwahlen ein überwältigender Sieg gelungen. Die Partei sicherte sich nicht nur erneut die Kontrolle über Großstädte wie Istanbul und Ankara, sondern gewann sogar Provinzen, die zuvor als Hochburgen der islamisch-konservativen Partei Erdogans gegolten hatten. 

Seit diesem Erfolg stehen die Partei und ihre Politiker zunehmend im Visier von Ermittlungen. Besonders hart ging die Justiz mit dem über die Parteigrenzen hinweg äußerst beliebtem Imamoglu um, der nun wegen angeblicher „Korruption“ im Gefängnis sitzt. Zudem wird ihm „Beleidigung“ von Staatsanwälten zur Last gelegt.