Tokio ist voller Menschen und Autos, bunter Schilder und Hochhäuser. Diese Bilder kennen viele. Doch wie klingt die japanische Megacity eigentlich? Hören Sie mal rein!
Sie begleiten uns, prägen unser Leben – und doch nehmen wir sie oft kaum wahr: die Töne, die uns jeden Tag umgeben. Ob die Kaffeemaschine beim Bäcker am Morgen, die Melodie der schließenden U-Bahn-Türen oder das Klackern der Tastaturen im Büro – sie sind allgegenwärtig. Und doch sind wir oft geräuschblind für sie.
Jeder Raum, jede Straße, jedes Dorf und jede Stadt hat ihren individuellen Klang. Man muss nur genau hinhören. Hamburg klingt anders als Berlin, Amsterdam anders als Athen, New York anders als Mumbai. Und Tokio, die riesige Metropole Japans? Wir waren mit dem Mikrofon unterwegs und haben typische Tokio-Sounds eingefangen.
Adern, die Tokio am Leben halten
Diese Geräusche sind leicht zuzuordnen: Wir befinden uns im Untergrund, in der Tokioter U-Bahn. Mehr als 280 Stationen hat die Mega-City. Bei einem Blick auf die Linienpläne kann einem schwindelig werden, denn es gibt sogar zwei U-Bahn-Netze: Tokyo Metro und Toei Transportation. Dazu kommen kleinere Bahnen und die S-Bahn-ähnlichen Züge der Japan Rail.
Die Tokyo Metro ist der größte Betreiber. Sie unterhält neun Linien mit einer Gesamtlänge von 195 Kilometern und 180 Stationen. Täglich nutzen rund 6,5 Millionen Menschen dieses Netz (Stand 2023). Toei betreibt vier Linien mit 106 Stationen, die etwa 2,48 Millionen Fahrgäste pro Tag zählen (Stand 2023). Beide Netze sind miteinander verbunden, und mit der Toei-Linie erreicht man die Flughäfen Haneda und Narita. Verschiedene Farben und Buchstaben kennzeichnen die Linien.
An den Bahnhöfen stehen mehrsprachige Fahrkartenautomaten. Wer es aber bequemer mag, sollte es so wie die Tokioter machen: Sie nutzen wiederaufladbare Chipkarten, sogenannte IC-Karten, die an Lesegeräten an Ein- und Ausgängen funktionieren. Beliebte Modelle wie Suica und Pasmo lassen sich auch aufs Smartphone laden.Eng gedrängt, aber mucksmäuschenstill fährt man in Tokios U-Bahn
© imageBROKER/Alberto Franchini
In den Zügen der U-Bahn Tokios herrschen übrigens strenge Regeln. Wer nicht den Unmut der Japaner auf sich ziehen will, sollte Folgendes beherzigen:
Erst Passagiere aussteigen lassen und dann einsteigenNicht Essen oder TrinkenTelefonieren ist ein absolutes No-GoMusik aus Lautsprechern sowiesoSelbst Reden sollte man in gedämpfter LautstärkeWer einen Rucksack hat, sollte ihn vor sich tragen, um andere Fahrgäste damit nicht anzurempelnEs gibt Sitze, die speziell für Schwangere, ältere Menschen oder Menschen mit Behinderung vorgesehen sind. Diese am besten frei lassen
Rechts, links, rechts, rüber
Man hört es: Wir stehen an einer Straße. Doch was piept denn da? Ein Vogel? Oder feuert da jemand mit einer Laserpistole?
Es sind die Signaltöne der Ampeln, die Fußgängern beim Überqueren helfen. Sie richten sich vor allem an Menschen mit Sehbehinderungen, damit diese sicher die Straße passieren können. Die Töne sind dabei tatsächlich an die von Vögeln angelehnt und variieren je nach Richtung: Bei Überquerungen von Nord nach Süd und umgekehrt ertönt das hohe Zwitschern. Für Ost-West-Kreuzungen gibt es einen Ton, der an einen Kuckuck erinnert. Manche Ampeln spielen sogar „Toryanse“, ein altes Kinderlied über sicheres Überqueren.
Wer jedoch abseits der Ampel die Straße queren will, sollte aufpassen: In Deutschland schaut man links, rechts, dann wieder links. In Japan, wo Linksverkehr herrscht, gilt die umgekehrte Reihenfolge: rechts, links, rechts – und dann los.
Der Sound des Sommers
Man hört es sofort: Wir sind im Freien. Aber was ist das für ein hochfrequentes Geräusch?
Es ist ein typischer Sommersound. Es sind Zikaden, die mit ihrem teils lautstarken Sirren und Zirpen die Luft erfüllen. Weltweit gibt es etwa 2000 Arten, in Japan leben 30 davon, wobei jede anders klingt. Manche erinnern sogar an Vogelrufe, andere erreichen bis zu 120 Dezibel.Kann ganz schön lärmen: eine Zikade
Zikaden verbringen zwei bis drei Jahre als Larven in der Erde. Sobald sie herauskommen, bleiben ihnen nur wenige Wochen: Sie paaren sich in dieser Zeit und sterben dann. Ihr kurzes Leben erinnert die Japaner an die Vergänglichkeit und die Flüchtigkeit des Daseins.
Noch ein Sommersound
Was ist das? Rühren da ganz viele in ihren Teetassen oder Latte-Macchiato-Gläsern um? Nein, aber mit Glas hat es zu tun. Was hier so klingelt, sind Furin, japanische Windglöckchen. Ihr beruhigender Klang ertönt vor allem im Sommer, wenn eine Brise die Papierstreifen an den Glocken aus Glas, Keramik oder Metall bewegt. Man hängt sie unter die Dachtraufen von Häusern, doch auch in Parks sind sie zu finden. Laut der japanischen Botschaft in Deutschland stammen die Windspiele aus einer Zeit, als kleine Bronzeglocken an den vier Dachecken von Tempeln und Pagoden hingen. Sie sollten Unheil abwehren. Später übernahmen auch einfache Leute diesen Brauch.Ihr Klingeln verheißt Sommer: Furin, japanische Windspiele, im Ueno-Park in Tokio
© Rune Weichert
Furin gibt es nicht nur in Tokio, sondern in ganz Japan in unterschiedlichsten Formen und Farben. Je nach Region spiegeln sie lokale Folklore wider. In Tokio findet man die „edo-furin“: geblasene Glaskugeln, verziert mit handgemalten Bildern.
Die Windglöckchen sind bei den Japanern bis heute beliebt. Sie helfen, die heißen Sommer erträglicher zu machen, wie die Botschaft schreibt. „Allein der Anblick vermittelt bereits das Gefühl von Kühle.“
Passives Daddeln
Was für ein Höllenlärm! Wo in Tokio ist es denn so laut? Ist das Hagel, der auf ein Blechdach donnert? Weit gefehlt. Das ist der Sound einer Pachinko-Halle. Diese Spielsalons sind das Herz des japanischen Glücksspiels. Im ganzen Land gibt es Tausende davon, und die Spieler stecken jährlich Milliarden US-Dollar hinein.
Pachinko-Automaten verbinden Elemente von Flipper und Glücksspiel. Ihre Wurzeln liegen im europäischen Spiel „Bagatelle“ aus dem 18. Jahrhundert. Wer spielt, braucht etwas Geschick, ein Quäntchen Glück – und vor allem Geduld. Für Laien bleibt das Spiel oft ein Rätsel.
Man sitzt relativ passiv vor den Geräten, dreht an einem Knopf und steuert so die Geschwindigkeit kleiner Metallkugeln, die man zuvor gekauft hat. Mit lautem Klackern schießen die Kugeln über das Spielfeld, purzeln nach unten und landen manchmal in speziellen Löchern. Dort winken neue Kugeln, Bonusspiele oder Sachpreise. Die blinkenden, bunten Lichter der Automaten üben eine ähnliche Faszination aus wie die Spielautomaten in Las Vegas. Spielsucht und ihre Folgen sind auch in Japan nichts Unbekanntes.Flippern auf Japanisch: Männer spielen in einer Pachinko-Halle
Wer genug gespielt hat, tauscht die gewonnenen Kugeln gegen Sachpreise ein. Geldgewinne sind verboten; das Glücksspiel ist in Japan streng reguliert. Es gibt aber das Schlupfloch, gewonnene Preise in der Nähe der Pachinko-Halle gegen Bargeld einzutauschen.
Ironischerweise sind lautes Reden und störende Geräusche in den Hallen unerwünscht. Dabei würden sie im ohrenbetäubenden Lärm der Pachinko-Kugeln ohnehin untergehen.
Ein Laden für alles
Ding-dong! Wir stehen in einem Laden. Und obwohl es diese Geschäfte in Japan zehntausendfach gibt, sind sie etwas Besonderes. Es ist der Klang eines Minimarktes, in Japan „konbini“ genannt – abgeleitet vom englischen „convenience store“. Drei große Ketten beherrschen den Markt: Seven Eleven, Lawson und Family Mart. Kleinere Anbieter sind Mini Stop, Daily Yamazaki oder Seico Mart.
Die Läden haben rund um die Uhr offen und bieten alles für den täglichen Bedarf: Snacks, Getränke, frische Mahlzeiten (heiß oder kalt), Eis, Tiefkühlkost, Salate, Eier, Milch, Reis, Brot und andere Backwaren, Fertigsuppen, Instantnudeln, Zigaretten, Alkohol, Büroartikel, Zahnpasta, Shampoo, Putzmittel. Manche Ketten, wie Family Mart, verkaufen sogar Kleidung. Jede Kette hat ihre eigenen Spezialitäten. Bei Family Mart ist es das frittierte Hähnchen „famichiki“, bei Seven Eleven das Eiersalatsandwich („tamagosando“ auf Japanisch), bei Mini Stop das Softeis.
Doch die Konbinis sind nicht nur zum Einkaufen da. In den meisten stehen Geldautomaten, mit denen man auch auf Deutsch ein paar Yen abheben kann. Viele bieten Drucker und Kopierer zur Nutzung an. WLAN gehört selbstverständlich dazu. In einigen Läden kann man Rechnungen bezahlen, Konzertkarten kaufen oder Post verschicken. Für die Japaner sind diese Minimärkte ein fester Bestandteil des Alltags – und kaum wegzudenken.
Noch ein Laden für (fast) alles
„Don, don don, donkiiiii!“ Wer mal in Tokio war, kennt diesen Ohrwurm mit Sicherheit. Doch wer oder was ist Donki? So nennen die Japaner das Discountwarenhaus „Don Quijote“. Es gibt Hunderte Filialen in Tokio und anderen Städten, und – ja, Sie haben richtig gehört – der Laden hat sogar einen eigenen Song, der dort aus den Lautsprechern plärrt. Selbst Bruno Mars hat schon über diesen Billigladen gerappt.
Was macht den Donki so besonders? Die Kette mit dem Pinguin-Maskottchen existiert seit den 1980er-Jahren und verkauft fast alles, was das Herz begehrt: Haushaltswaren, Elektronik, Süßigkeiten, frische Lebensmittel, Koffer, Kosmetik, Medikamente, Spielzeug – und für Touristen eine riesige Auswahl an Souvenirs. Manche Filialen haben sogar eine „ab 18“-Ecke mit Sexspielzeug. Einige Läden sind wie die Konbinis rund um die Uhr geöffnet.
In den engen, labyrinthartigen Gängen zwischen den übervollen Regalen kann man Stunden verbringen. Die Einkaufskörbe füllen sich schnell – mit Nützlichem, Notwendigem oder völlig Überflüssigem. Oft vergisst man, warum man überhaupt gekommen ist, und kauft Dinge, die man nie gesucht hat. Zu viele Angebote, zu viele Ablenkungen. Ein Vergnügungspark für Schnäppchenjäger.
Und warum heißt die Billigkette wie der Romanheld von Miguel de Cervantes? Laut einer ihrer Internetseiten spiegelt der Name die Philosophie des Unternehmens wider: „Wir widersetzen uns unfairen Beschränkungen und Regelmäßigkeiten und stellen mutig und aggressiv die konventionelle Einzelhandelsbranche infrage.“