Sulaiman A. soll im Mai 2024 auf dem Mannheimer Marktplatz den Polizisten Rouven Laur getötet und fünf Menschen verletzt haben. Am Dienstag endet der Prozess – und nicht alle Fragen sind geklärt.
Der tödliche Messerangriff auf dem Mannheimer Marktplatz im Mai 2024 sorgte bundesweit für Aufruhr und löste eine politische Debatte über die Abschiebung ausländischer Straftäter aus. Der mutmaßliche Angreifer war aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet und lebte mit Ehefrau und Kindern im hessischen Heppenheim. Nach rund sieben Monaten Verhandlung will das Oberlandesgericht Stuttgart am kommenden Dienstag sein Urteil zu Sulaiman A. verkünden. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was passierte am 31. Mai 2024?
Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft verletzte der Afghane Sulaiman A. bei dem Angriff in Mannheim sechs Menschen mit einem Messer, fünf Teilnehmer einer Kundgebung der islamkritischen Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) sowie den Polizisten Rouven Laur. Der 29-jährige Beamte starb zwei Tage später an seinen Verletzungen. Der damals 25-jährige Angreifer wurde von einem anderen Polizisten niedergeschossen.
Was droht dem Angeklagten bei einer Verurteilung?
Sollte er wegen Mordes verurteilt werden, so droht ihm eine lebenslange Haftstrafe. Sollte das Gericht die besondere Schwere der Schuld feststellen, wäre eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren praktisch ausgeschlossen. Zudem könnte eine anschließende Sicherungsverwahrung auf unbestimmte Zeit verhängt werden. Diese dient dazu, die Allgemeinheit vor Straftätern zu schützen, die ihre Strafe verbüßt haben, aber weiter als gefährlich gelten.
Könnte der Angeklagte bei einer Verurteilung abgeschoben werden?
Auf jeden Fall nicht umgehend. Zunächst müsste das Urteil rechtskräftig werden, also etwa keine Revision eingelegt werden. Laut Strafprozessordnung müsste für eine mögliche Abschiebung A. dann durch die zuständigen Ausländerbehörden ausgewiesen werden. Anschließend müsste die Bundesanwaltschaft von einer weiteren Verbüßung der Haftstrafe absehen. Dabei werden üblicherweise etwa die Umstände der Tat, die Höhe der verbüßten Strafe sowie die familiären Umstände des Straftäters berücksichtigt.
Das hessische Innenministerium verweist zudem darauf, dass „Abschiebungen nach Afghanistan – mit Ausnahme zweier Sondermaßnahmen im August 2024 und Juli 2025 – bislang nicht umsetzbar sind“.
Wo A. im Falle einer Verurteilung inhaftiert wird, dazu wollte sich die Bundesanwaltschaft „aus Sicherheitsgründen“ nicht äußern, wie eine Sprecherin sagte.
Wie lautet die Anklage?
Der mittlerweile 26-Jährige ist wegen Mordes, versuchten Mordes in fünf Fällen sowie gefährlicher Körperverletzung angeklagt.
Welche politischen Auswirkungen hatte die Tat?
Nach der Tat gab es eine politische Debatte über Abschiebungen ausländischer Straftäter. Kurz nach der Tat kündigte die damalige Ampel-Regierung an, Abschiebungen von Schwerstkriminellen auch nach Afghanistan wieder möglich zu machen. Es blieb zunächst allerdings bei einer Maschine mit 28 männlichen Straftätern, die am 30. August nach Afghanistan abflog. Erst vor knapp zwei Monaten, am 17. Juli, startete der nächste Abschiebeflug nach Afghanistan.
Welche Strafen fordern die Verfahrensbeteiligten?
Die Bundesanwaltschaft fordert eine Verurteilung wegen Mordes und eine lebenslange Haftstrafe mit der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Die Nebenkläger, darunter auch die Familie Laur, fordern zum Teil zusätzlich noch eine anschließende Sicherungsverwahrung. Die Verteidiger fordern eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes.
Was hat der Angeklagte ausgesagt?
Sulaiman A. hat in dem Verfahren die Tat gestanden und Anzeichen von Reue gezeigt. Ziel des Angriffs sei das BPE-Vorstandsmitglied Michael Stürzenberger gewesen, sagte er aus. Mit Blick auf ein Motiv verwies er auf den Gaza-Krieg, der 2023 begann und sein Leben verändert habe. In Telegram-Chats habe er sich mit einem Gelehrten über die Tötung von Ungläubigen ausgetauscht sowie Informationen zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gesammelt, sagte Sulaiman A. aus.
Bestätigung für seinen geplanten Angriff habe er auch auf Telegram erhalten. Der Chat-Partner, eine Art Gelehrter, in dem Messenger-Dienst habe von der Tötung von Polizisten gesprochen. Er habe mit ihm auch über eine mögliche Tötung Stürzenbergers gesprochen. Der Chat-Partner habe ihn in seinem Vorhaben bestätigt.
Was sagt die Anklage zum Motiv von Sulaiman A.?
Die Bundesanwaltschaft sieht es als erwiesen an, dass der Angeklagte sich über Jahre vor der Tat radikalisierte und sich mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) identifizierte. Er habe nicht nur den Islamkritiker Stürzenberger von der BPE töten wollen, sondern so viele Islamkritiker und „vermeintlich Ungläubige“ wie möglich.
Welche Fragen blieben offen im Verfahren?
Unklar blieb bis zum Schluss, ob der Angeklagte bei der Tat einen „Tod als Märtyrer“ sterben wollte. Der Vorsitzende Richter konfrontierte den Angeklagten unter anderem mit einem Online-Kommentar, der von A. stammen soll. „Ich hoffe, dass Gott uns zum Märtyrer macht.“ Der 26-Jährige konnte sich entweder nicht erinnern oder sagte, entsprechende Aussagen stammten nicht von ihm. Unklar blieb etwa auch, wer der Chatpartner auf Telegram gewesen sein soll, der A. in seinem Vorhaben Stürzenberger zu töten, bestätigt haben soll.
Was ist über das Leben des Angeklagten bekannt?
Vermutlich mit elf Jahren war Sulaiman A. aus Afghanistan geflohen. Als er 2013 nach Frankfurt kam, stellte er nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur einen Asylantrag. Der Antrag wurde 2014 abgelehnt. Es wurde allerdings ein Abschiebeverbot verhängt, vermutlich wegen des jugendlichen Alters. Der Afghane war der Polizei vor der Tat nicht bekannt.
A. lernte nach der Ankunft in Frankfurt Deutsch, der Afghane spricht heute relativ flüssig mit starkem Akzent. Er machte einen Hauptschulabschluss und einen qualifizierten Realschulabschluss. In der Schule lernte er nach eigener Aussage seine heutige Frau kennen. Sie hat türkische Wurzeln, wuchs aber in Deutschland auf. Die beiden hatten zuletzt mit den zwei gemeinsamen Kindern im hessischen Heppenheim gelebt, rund 35 Kilometer nordöstlich von Mannheim.