Spurenstoffe wie Arzneimittel oder Pestizide können bereits in geringen Konzentrationen die Umwelt schädigen. Mit dem „MöWa-Verfahren“ werden die Substanzen effektiv aus dem Abwasser geholt.
Die Kläranlage von Mörfelden-Walldorf kann mehr als andere. Das Wasser läuft durch eine zusätzliche vierte Reinigungsstufe – und wird dadurch von vielen Spurenstoffen wie Arzneiwirkstoffen, Kosmetika oder Pestiziden gereinigt. Mit ihrer Anlage gehört die Stadt im Rhein-Main-Gebiet bundesweit zu den Vorreitern. Regelmäßig informieren sich andere Kommunen über die moderne Technik, die inzwischen in Fachkreisen den Zusatznamen „MöWa-Verfahren“ trägt. Denn unter den Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe ist die Anlage in Mörfelden-Waldorf noch einmal besonders gründlich.
Als Spurenstoffe werden chemische Substanzen bezeichnet, die bereits in sehr geringen Konzentrationen in der Umwelt, insbesondere im Wasser, vorkommen. Trotz ihrer geringen Menge können sie Auswirkungen auf die Umwelt haben. Antibiotika beispielsweise fördern die Resistenzen von Bakterien. Viele dieser Stoffe, zu denen auch Medikamente wie Blutdrucksenker oder Schmerzmittel zählen, sind biologisch schlecht abbaubar. Sie können sich in der Umwelt anreichern und Organismen schädigen. Über die Haushalte, Industrie und Landwirtschaft gelangen sie in Kläranlagen – und danach in die Gewässer.
In Mörfelden-Walldorf schließt sich an die drei Reinigungsstufen, die üblicherweise in Kläranlagen eingesetzt werden, ein zusätzliches Verfahren an. Von außen sieht diese vierte Reinigungsstufe für Laien recht unspektakulär aus: eine unscheinbare Halle mit mehreren Silos und kleineren Becken. Innen allerdings steckt das Gebäude voller Technik.
Beim „MöWa-Verfahren“ ist die vierte Reinigungsstufe noch einmal in mehrere Schritte aufgeteilt. Zunächst wird Ozon in das Wasser eingebracht, um Chemikalien aufzuspalten, wie der Leiter der Kläranlage, Oliver Lukas, erläutert. Anschließend kommt ein Aktivkohlefilter zum Einsatz, danach wird das Wasser mit Tüchern gefiltert. Der Aufwand lohnt sich: Mit diesem Vorgehen werden in Mörfelden-Walldorf mehr als 80 Prozent etwa des Anti-Schmerz-Wirkstoffs Diclofenac aus dem Abwasser eliminiert. Beim Korrosionsschutzmittel Benzotriazol sind es nach Angaben der Stadt mehr als 90 Prozent.
Mit dem Standort im Hessischen Ried gebe es besondere Anforderungen an den Grund- und Trinkwasserschutz, sagt der Bürgermeister von Mörfelden-Walldorf, Karsten Groß (CDU). „Wir wollen das Grundwasser und damit auch das Trinkwasserreservoir vor Spurenstoffen schützen.“ Der Abteilungsleiter Abwasser der Stadtwerke Mörfelden-Walldorf, Mathias Stief, erläutert die Dimensionen: „Bei Spurenstoffen geht es um kleinste Mengen. Wir holen rund fünf Tropfen aus einem Schwimmbecken heraus.“
Allerdings ist die vierte Reinigungsstufe eine teure Technik, die Investitionskosten summieren sich in Mörfelden-Walldorf auf mehr als zehn Millionen Euro. Im Hessischen Ried, wo auch Mörfelden-Walldorf liegt und bis zu 40 Prozent des Trinkwassers für das Rhein-Main-Gebiet gewonnen werden, ist der Ausbau der Abwasserreinigung aus Sicht von Experten besonders dringend. Gelangen Schadstoffe aus den Kläranlagen in die Gewässer, könnten sie im Grundwasser versickern, warnt der hessische Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND).
Nach Auskunft des Landesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft Hessen/Rheinland-Pfalz arbeitet erst eine verschwindend geringe Zahl der rund 700 kommunalen Kläranlagen in Hessen mit einer vierten Reinigungsstufe – neben Mörfelden-Walldorf ist dies aktuell Bickenbach, in der Umsetzung sind es demnach Büttelborn, Langen und Weiterstadt. Bundesweit sei bei 0,1 und 0,2 Prozent der öffentlichen Kläranlagen eine vierte Reinigungsstufe in konkreter Planung, im Bau oder in Betrieb.
Die Energie- und Wasserwirtschaft begrüßt zwar grundsätzlich die Aufrüstung von Kläranlagen, um Mikroschadstoffe besser aus dem Wasser zu eliminieren. Es bestehe jedoch die Gefahr, dass sich diese Technik zum „Feigenblatt“ vornehmlich für die Industrie entwickele, warnt der stellvertretende Geschäftsführer des Landesverbandes, Sebastian Exner. „Denn mit jeder vierten Reinigungsstufe und der damit erreichten Verbesserung der Gewässerqualität wird die Diskussion von der eigentlich für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft entscheidenden Frage abgelenkt – wie können wir umweltverträglich produzieren und konsumieren?“, gibt der Experte zu bedenken.