Mit Videos zu alltäglichen und nicht ganz alltäglichen Rechtsfragen erreicht der Anwalt Christian Solmecke Hunderttausende junge Menschen. Wie wurde er zur juristischen Instanz?
Herr Solmecke, Sie sind einer der populärsten Rechtsanwälte Deutschlands. Mehr als eine Million Menschen haben Ihren Youtube-Kanal „WBS LEGAL“ abonniert. In Ihren Videos erklären Sie, wie man sich bei Polizeikontrollen verhalten soll, ob man beim „All you can eat“ wirklich alles essen darf oder ob man im Kriegsfall kämpfen müsste. Ein Anwalt lebt auch von der Seriosität, die er ausstrahlt. Haben Sie keine Bedenken, dass Ihre Youtube-Präsenz Ihrem Ruf schadet?
Als ich mit den Videos anfing, dachten sich viele: Was macht ein Anwalt da auf Youtube, dieser vermeintlichen Jugendplattform? Sogar meine Frau sagte: Das kannst du nicht machen, das gucken doch nur Kinder. Aber ich wollte ausprobieren, ob es funktioniert. So weit ich weiß, ging mir noch kein großes Mandat flöten, weil ich mein Gesicht bei Youtube zeige. Im Gegenteil, eher kamen zwanzig neue dazu. Ich vertrete zum Beispiel auch einige der größten deutschen Youtube-Stars, wie Rewi, Rezo, Amar. In der Summe hat sich das rentiert, das kann ich klar sagen. Als ich in der Kanzlei anfing, hatten wir acht Mitarbeiter. Jetzt sind es 80. Mir geht es gut, ich habe mir ein bisschen was zurücklegen können.
Ihre Videos haben also den Zweck, Ihre Kanzlei voranzubringen?
Nein, zu Beginn hatte ich keinen Plan. Der kam erst später. Irgendwann erkannte ich, dass Fälle wie der Dieselskandal, bei dem Tausende Autobesitzer geschädigt worden waren, etwas Großes für unsere Kanzlei werden können, wenn ich sie auf Youtube thematisiere. Wir haben uns seither viele Massenfälle vorgeknöpft. Ich vertrat zum Beispiel fast 80.000 Menschen, die Musik im Internet über Tauschbörsen getauscht hatten, oder Tausende Betroffene, deren private Krankenversicherungen zu Unrecht angehoben worden waren. Über Youtube kann man sehr gut eine große Masse an Menschen erreichen.
Wie kamen Sie erstmals auf die Idee, sich als Anwalt vor die Kamera zu stellen?
Ich habe mich schon immer für Technik interessiert, mit elf Jahren baute ich meinen ersten Computer zusammen, ich programmierte Software, betrieb eigene Internetseiten. Später arbeitete ich als Radiojournalist und studierte Jura. Mit Youtube begann ich im Jahr 2010. Zu dieser Zeit war ich der einzige Anwalt auf der Plattform. Bei meinem ersten Video saß ich im Pullover vor der Webcam und sprach über die Frage: Was droht mir, wenn ich mir ein gefälschtes Kleidungsstück aus dem Sommerurlaub mitbringe? Das Video ging online und hatte 30 Zuschauer. Ich fand das stark. Einer der 30 Zuschauer war eine Freundin von mir, die damals beim Fernsehen arbeitete. Sie sagte: Christian, wenn du das so machst, kannst du es auch gleich bleiben lassen. Du hast schlechten Ton, schlechtes Bild, bist schlecht ausgeleuchtet, das sieht scheiße aus.
Irgendwann sagte mein damals elfjähriger Sohn zu mir: Papa, was du da machst auf Youtube, das ist doch langweilig
Und dann?
Ich ließ das mit den Videos erst einmal ein Jahr lang sein. Dann half mir ein alter Kollege, mittlerweile Fotograf, die richtige Video-Ausstattung zu besorgen. So ging mein erstes offizielles Video auf meinem Kanal online. Ich erklärte darin, was passiert, wenn ein Amazon-Paket beim Versand verloren geht. Der Hintergrund war, dass mein eigenes Paket, als ich die Kamera für das Video gekauft hatte, leer war. Ich nahm einfach meinen eigenen Fall. Das ging dann rund bei Youtube.
Ihre Videos drehten sich zu dieser Zeit vor allem um IT- und Internet-Recht, etwa Urheberrechtsverletzungen oder illegale Musikdownloads.
Ja. Irgendwann sagte mein damals elfjähriger Sohn zu mir: Papa, was du da machst auf Youtube, das ist doch langweilig. Mach doch mal was, was die Leute interessiert. Ich fragte ihn, was er denn spannend fände. Er sagte: 20 Dinge, die Lehrer machen, aber nicht dürfen. Gute Idee, dachte ich, und drehte das Video. Manche Lehrer lassen Schüler zum Beispiel nicht während der Klassenarbeit auf die Toilette gehen. Das sei verboten, erklärte ich im Video, und es verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention – ich hängte das ganz hoch auf! (Lacht) Das Video hat bis heute drei Millionen Zuschauer, damit stieg ich in den Youtube-Mainstream ein.
Die Welt von Youtube ist manchmal eine obskure. Ständig haben Influencer „Beef“, also Streit miteinander, worauf wieder andere in eigenen Videos reagieren. Oft ist alles grell, laut und hektisch. Und Sie stehen mittendrin.
Reagiere ich in einem Video zum Beispiel auf „Apo Red“ …
… einen in Deutschland bekannten Youtuber mit zweifelhaftem Ruf, der zum Beispiel mit geschmacklosen „Bomben-Pranks“ auf sich aufmerksam gemacht hat und nicht nur dafür vor Gericht stand …
… genau, wenn ich auf so einen reagiere, wenn ich also die Fälle großer Youtuber rechtlich einordne, kann ich damit enorme Reichweiten generieren – und zwischendurch kurz das Video stoppen und Werbung für meine eigene Kanzlei machen. Ich finde aber schon auch spannend, was in dieser Welt abgeht. Am liebsten würde ich mich noch stärker auf Youtube konzentrieren. Das macht mir einen riesigen Spaß. Fakt ist aber, dass ich als Partner eine Kanzlei managen muss, ich habe selbst auch noch Mandanten. 80 Prozent sind Anwaltsgeschäft, 20 Youtube.
Trotzdem gelten Sie tausenden jungen Menschen auf Youtube als juristische Instanz. Spüren Sie die Verantwortung?
Youtube ist eine Welt, in der viel Halbwissen kursiert und jeder im Sekundentakt etwas raushaut. Wir haben im Laufe der Zeit rund 5000 Videos produziert. Davon mussten wir erst vier wegen juristischer Fehler rausnehmen. Der Aufwand, den wir bei der Recherche betreiben, ist enorm. Jedes Video wird vor Veröffentlichung von einem entsprechenden Fachanwalt geprüft. Das sehen und wertschätzen die Leute. Ich habe mir ein gewisses Vertrauen aufgebaut. Und das ist es, was in einer wilden Welt wie Youtube geschätzt wird. Und in diesen Zeiten auch darüber hinaus.