Bundesverfassungsgericht: Spannung vor Richterwahl: Was im Bundestag passieren könnte

Die Besetzung von Stellen an Bundesgerichten geht üblicherweise ohne Komplikationen über die Bühne. Doch diesmal gibt es Konfliktpotenzial.

Nach tagelangen Diskussionen soll es an diesem Freitag so weit sein: Der Bundestag entscheidet über die Neubesetzung von drei Richterstellen am Bundesverfassungsgericht. Was eigentlich eine Routineentscheidung sein sollte, löste diesmal eine doppelte Kontroverse aus. 

So könnte der Kandidat der CDU/CSU womöglich für seine Wahl auf Stimmen der AfD angewiesen sein. Und zumindest ein Teil der Unionsabgeordneten hält eine der beiden SPD-Kandidatinnen nicht für wählbar – sollte sie scheitern, wäre Koalitionskrach absehbar.

Wie die Wahlen ablaufen

Die Wahlen sind geheim. Die Abgeordneten treten einzeln in Wahlkabinen und werfen ihre Stimmkarten in Urnen. Währenddessen beginnt die nächste Debatte. Das Ergebnis wird im Verlauf der weiteren Tagesordnungspunkte verkündet, wofür diese kurz unterbrochen werden. Mitgeteilt werden Ja-Stimmen, Nein-Stimmen und Enthaltungen. Welche Fraktion wie abgestimmt hat, lässt sich also nur aus öffentlichen Äußerungen am Rande ableiten. 

Um kurz nach 10 Uhr sollen die Abgeordneten zunächst über den Kandidaten der Union, Günter Spinner, entscheiden. Die Abstimmungen über die beiden SPD-Kandidatinnen Ann-Katrin Kaufhold und Frauke Brosius-Gersdorf sind für mittags geplant. Über sie soll getrennt voneinander abgestimmt werden. 

Gegen Brosius-Gersdorf gibt es in der Union Vorbehalte, unter anderem, weil sie sich in der Corona-Pandemie für eine Impfpflicht aussprach und einem Teil der Unionsabgeordneten in Abtreibungsfragen zu liberal ist. Auch die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Ich würde sie aufgrund dieser Position nicht wählen können.“

Nötig ist eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen. Wenn alle 630 Abgeordneten anwesend wären, entspräche dies 420 Stimmen. Einige Parlamentarier sind aber stets verhindert. Um gewählt zu werden, braucht ein Kandidat zudem die Mehrheit der Stimmen der Bundestagsmitglieder, also mindestens 316. 

Warum die AfD eine wichtige Rolle spielt

Wenn alle Fraktionen gemäß ihrer relativen Stärke vertreten sind, reichen die Stimmen der drei Regierungsparteien CDU, CSU und SPD sowie der Grünen nicht aus für eine Zweidrittelmehrheit. Es bräuchte dann noch Stimmen der AfD oder der Linken. Die CDU/CSU-Fraktion lehnt eine Zusammenarbeit sowohl mit der Linken als auch der AfD ab.

Die AfD-Fraktionsspitze jedenfalls hat ihren Mitgliedern empfohlen, für den Unionskandidaten Spinner zu stimmen. Die beiden SPD-Kandidatinnen hingegen lehnt AfD-Fraktionschefin Alice Weidel ab. 

Welche Mehrheiten möglich wären

Unionskandidat Spinner kann auf die Stimmen von Union, SPD und Grünen hoffen. Wenn alle drei Fraktionen für ihn stimmen, würden – falls alle Abgeordneten anwesend wären – nur noch hauchdünne 7 Stimmen zur Zweidrittelmehrheit fehlen. Wenn diese Fraktionen bei der Abstimmung überproportional vertreten sind, könnte es also schon reichen. Falls nicht, dann stellt sich die Frage, ob ein Teil der Linken-Fraktion Spinner ihre Stimme gibt. Sonst könnten am Ende AfD-Stimmen entscheidend sein. Die anderen Parteien im Bundestag wollen solche Abhängigkeiten aber eigentlich vermeiden.

Wenn alle Fraktionen gemäß ihrer relativen Stärke vertreten sind und SPD, Grüne sowie die Linke geschlossen für die beiden SPD-Kandidatinnen stimmen und die AfD dagegen – dann braucht es immer noch die Stimmen von knapp drei Vierteln der Unionsfraktion, um die nötige Zweidrittelmehrheit zu erreichen. 

Was die Linke will

Die Linke will einbezogen werden und hat von der Union Gespräche noch vor der Wahl verlangt. Auf die Dauer will die Fraktion ebenfalls Vorschläge für die künftige Besetzung von Richterstellen machen können. 

Nach bisheriger Übereinkunft im Bundestag können Union, SPD und Grüne Richterkandidaten vorschlagen. Diese müssen zunächst im Wahlausschuss bestätigt werden. 

Was passiert, wenn die nötige Mehrheit fehlt

Wenn die nötige Zweidrittelmehrheit für einen oder mehrere Kandidaten nicht zustande kommt, kann der Bundesrat entscheiden. Dieser darf sowieso über die Hälfte der Richter in jedem Senat des Bundesverfassungsgerichts entscheiden, es kämen dann in diesem Fall noch weitere hinzu. Dazu käme es aber erst am Ende eines längeren Verfahrens mit mehreren Stufen.

Für die schwarz-rote Koalition wäre das blamabel, wenn sie so wichtige Entscheidungen aus der Hand geben muss. Kanzler Friedrich Merz (CDU) sagte dazu: „Ich hoffe, dass sich der Deutsche Bundestag als entscheidungsfähig erweist.“ Auch Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) äußerte im „Playbook Podcast“ von „Politico“ die Erwartung, dass die Wahl „ohne Beanstandung“ über die Bühne geht. Sie mahnte zugleich, die Entscheidung nicht dem Bundesrat zu überlassen

Was die Entscheidung für das Bundesverfassungsgericht bedeutet

Das Bundesverfassungsgericht ist das höchste deutsche Gericht und kann mit seinen Entscheidungen teils weitreichenden Einfluss auf den Kurs des Landes nehmen. Das passierte zum Beispiel 2021, als die Richter die Politik zu mehr Anstrengungen auf den Klimaschutz verpflichteten, um die Freiheitsrechte künftiger Generationen zu schützen. Daraufhin wurde das Klimaschutzgesetz verschärft. 

Das Bundesverfassungsgericht setzt sich aus 16 Richterinnen und Richtern zusammen. Jeweils acht Richterinnen und Richter bilden einen Senat. Ihre Amtszeit beträgt zwölf Jahre, sie müssen mindestens 40 und dürfen höchstens 68 Jahre alt sein.

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