Nach der Trennung von Marie Nasemann steht Kolumnist Sebastian Tigges als getrennt erziehender Vater vor den Trümmern seiner Lebensplanung – und entdeckt, was wirklich zählt.
Da stehe ich und es fällt mir wie Schuppen vor die Augen: Das Leben ist vorbei. Ich sterbe nicht, nein. Das Leben, das ich mir ausgemalt hatte, ist vorbei. Das Leben, in dem ich mich sah und von dem ich ausging, es würde erwartungsgemäß verlaufen, abgesehen von geringen, in Kauf zu nehmenden Abweichungen. Verheiratet, zwei Kinder, Haus gekauft, jedes Jahr Sommerferien in Italien, ein Auto, zwei Kindersitze, gemeinsame Freunde, gemeinsame Ziele, Träume, Krisen. In Gedanken schon die Etappen der nächsten Jahrzehnte durchgespielt: Einschulung der Kinder, Auszug der Kinder, vielleicht raus aus der Stadt, vielleicht Hund oder Katze.
Nun stehe ich also dort, in dieser Wohnung, die ich „meine Wohnung“ nenne statt „unser Zuhause“. Ich schaue meine Kinder an, die zum ersten Mal hier sind. Was zuvor noch abstrakte Zukunft war, manifestiert sich in diesem Augenblick zur unbarmherzigen Realität: Ich bin getrennt erziehender Vater. Meine Kinder werden die Hälfte der Zeit in dieser Wohnung verbringen und die andere Hälfte bei ihrer Mutter. In diesem Moment zieht sich alles zusammen in mir, und ich muss mich setzen.
Oft habe ich mir in den letzten Jahren eine Frage gestellt: Welches Paar aus meinem Freundeskreis wird sich zuerst trennen? Ich schäme mich dafür, aber ich hatte ein kleines internes Trennungs-Ranking. Die und die, die schaffen das sicher nicht, das war leider klar. Das war arrogant und naiv.
Doch die Statistik zeigt: Irgendjemanden meiner Freunde müsste es treffen. Dass es mich selbst treffen würde, wollte ich nicht glauben. Eine Trennung mit Kindern erschien mir wie ein schlimmer Verkehrsunfall oder eine tragische Krankheit: Gibt es, ist bedauerlich, aber betrifft mich nicht. Am Ende wird alles gut, auch wenn sich die Probleme in der Partnerschaft stapeln wie das unaufgeräumte Spielzeug allabendlich.
Gedanken, die ich nicht denken wollte
Ich hatte mir das anders vorgestellt. Doch nun stehe ich da, meine Kinder spielen in dieser neuen Wohnung, die ab jetzt zu unserem neuen Zuhause werden soll. Seit Monaten mache ich mir Gedanken, die ich nicht denken wollte: Wer wohnt wo, wer nimmt wann die Kinder, bei wem werden sie gemeldet, wie teilen wir uns die Ferien auf, was ist mit den Geburtstagen, was mit den Feiertagen – und was ist mit Weihnachten!?
Wann ist das Trennungsjahr vorbei? Wann hat es begonnen? Was passiert, wenn neue Partner dazu kommen? Wie gehe ich damit um, wenn meine Kinder einen Stiefvater haben werden? Soll ich jetzt etwa wieder daten? Kann ich das, will ich das? Wie soll das gehen? Bin ich noch in der Lage, mich zu verlieben?
Sebastian Tigges: Wer bin ich ohne „uns“?
Aus einem „Wir“ wird nun wieder ein „Ich“. Was mache ich mit den Kindern in den Ferien? Was habe ich für Pläne, Träume, Ziele – jetzt, wo die gemeinsam entwickelten Visionen keine Rolle mehr spielen? Und wer bin ich eigentlich, ohne die zum Teil aufeinander bezogenen Identitäten? Ich habe viele Jahre ein Bild von mir gemalt, und dieses Bild hat nun keinen Rahmen mehr.
Darin steckt auch Schönheit: Vieles kann ich neu definieren, neu leben, neu entdecken. Vor allem kann ich mich selbst nochmal neu kennenlernen. Eins ist klar: Ich bin ein vollkommen anderer Mensch als der, der vor über sieben Jahren diese Beziehung eingegangen ist. Die Vaterschaft hat mein Leben von Grund auf geändert und damit auch mich.
Da stehe ich also vor meinen Kindern, gehe einen Schritt auf sie zu und komme wieder zur Ruhe: Für meine Kinder bin ich der, der ich vor der Trennung auch war – ihr Papa. Das bleibt. Das ist am Ende das, was zählt. Ich bin nicht gescheitert, ich habe mich nur auf einen neuen Weg gemacht. Einen Weg, den ich gemeinsam mit ihnen gehen werde.
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