Anouar B. soll seine Ex-Partnerin brutal misshandelt haben, bis sie aus Panik vom Balkon im vierten Stock in den Tod stürzte. Jetzt steht der 32-Jährige vor Gericht.
Als sich die Objektive auf ihn richten und die Kameras klicken, hält sich Anouar B. eine blaue Mappe vors Gesicht. Zwischen Verteidiger und Dolmetscherin sitzt er da, im hellblauen Hemd mit hochgeknöpftem Kragen.
Die Richterin betritt den Saal 237 des Hamburger Landgerichts, B. erhebt sich, senkt die Mappe. In den folgenden Minuten – an diesem ersten Prozesstag wird es schnell gehen – wird er starr auf seinem Stuhl sitzen, den Kopf zurückgedrückt. Manchmal blickt er nach oben zur Kassettendecke des Saals, manchmal scheint er sorgenvoll die Stirn zu runzeln, seine Augen huschen nervös hin und her, zwischen Richterin und der Wand vor ihm. Zu Beginn schaut B. einmal ins Publikum und atmet schwer ein und wieder aus.
Ein Dreivierteljahr nach dem tödlichen Sturz seiner 36-jährigen Ex-Partnerin R. steht Anouar B. hier in Hamburg vor Gericht. Ihm werden Körperverletzung mit Todesfolge und versuchter Totschlag durch Unterlassen vorgeworfen.
Anouar B. neigt sich vor in Richtung Mikrofon, als er der Richterin Name, Geburtsort und seine marokkanische und libysche Staatsangehörigkeit nennt. Die Richterin stellt fest, sein Deutsch sei sehr gut, er könne aber auf die Dolmetscherin zurückgreifen, sollte er doch einmal etwas nicht verstehen. B. nickt. Dann blickt er zur Staatsanwältin, während sie die Anklage verliest.
Aus Panik soll die Frau vom Balkon gesprungen sein
Am 17. August 2024 soll Anouar B. aus bislang ungeklärten Gründen mit seiner Ex-Partnerin gestritten haben. Der Streit habe vor 16.25 Uhr begonnen, in einer Wohnung im Hamburger Stadtteil Eilbek, so die Staatsanwältin. Anouar B. habe „massiv gewaltsam“ auf seine Ex-Partnerin „eingewirkt“. Die Wohnung lag im vierten Obergeschoss.
Anouar B. habe der Frau mit einem Brotmesser eine blutende Verletzung an der Streckseite des Daumens zugefügt und mindestens sechsmal auf Kopf und Gesicht eingewirkt. Zudem habe er sie an Armen und Beinen festgehalten, ihr büschelweise Haare ausgerissen und mit den Händen ihre Atemwege zugehalten.
Aufgrund der massiven Gewalt sei die Frau in derart starke Panik geraten, dass sie über das Geländer des Balkons geklettert und, trotz der erkennbaren Lebensgefahr, in die Tiefe gestürzt sei, um sich vor ihrem Angreifer zu retten.
Der Beschuldigte habe die Wohnung verlassen und sich zum U-Bahnhof Ritterstraße begeben, ohne Hilfe zu leisten. Dabei habe er in Kauf genommen, dass die Frau bei einer sofortigen notärztlichen Behandlung hätte gerettet werden können, so die Staatsanwältin.
Festnahme in Italien
Die Frau erlitt multiple Verletzungen am ganzen Körper, unter anderem innere Blutungen, einen Beckenbruch, Weichteil- und Gelenkverletzungen sowie einen schweren Hirnschaden. Sie verstarb trotz intensiver notärztlicher Maßnahmen am Abend desselben Tages in der Asklepios Klinik St. Georg.
Anouar B.war nach dem Vorfall zunächst untergetaucht. Die Hamburger Polizei leitete eine Öffentlichkeitsfahndung mit Lichtbildern ein. Im November wurde er schließlich in Italien festgenommen und später an Deutschland ausgeliefert.
Während der Verlesung der Anklage sitzt B. still und mit geradem Rücken auf seinem Stuhl.
Bis Juli sind insgesamt neun Termine angesetzt. Zum Prozessauftakt machte der Angeklagte keine Angaben zu den Vorwürfen. Laut seines Verteidigers werde er sich im Verlauf des Prozesses äußern. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil gilt die Unschuldsvermutung.
Mit Material der Nachrichtenagentur DPA