WHO-Tagung in Genf: Dieser Vertrag soll helfen, die nächste Pandemie zu bewältigen

Die WHO-Mitglieder wollen auf ihrer derzeitigen Jahrestagung in Genf ein Abkommen für mehr Schutz gegen künftige weltweite Seuchen verabschieden. Fünf wichtige Fakten.

Warum braucht es überhaupt einen Pandemievertrag? 

Das wichtigste Ziel des neuen Abkommens ist, beim nächsten Erreger besser vorbereitet zu sein als bei Sars-CoV-2. Ein unerwarteter Krankheitsausbruch soll möglichst rasch und wirkungsvoll eingedämmt und so eine globale Verbreitung verhindert werden. Tatsächlich gibt es ein ähnliches Abkommen bereits: die „International Health Regulations“ von 2005. Auch Deutschland hat diese Gesundheitsregeln in eigenes Recht überführt und ist damit daran gebunden. Auf dieser völkerrechtlichen Grundlage konnte der Generaldirektor der WHO am 30. Januar 2020 eine „gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite“ ausrufen – der offizielle Beginn der Covid-19-Pandemie. In deren Verlauf allerdings zeigte sich, dass die vorhandenen Mittel und Verfahren nicht ausreichten, um einer weltweiten Bedrohung wie durch das neue Coronavirus angemessen zu begegnen. Der WHO wurden rund sieben Millionen Todesfälle im Zusammenhang mit Sars-CoV-2 gemeldet, die wahre Zahl liegt höher, je nach Schätzung brachte das Virus bis zu zwanzig Millionen Menschen den Tod. Darum wurde im Dezember 2021 bei einer Sondervollversammlung der WHO vereinbart, einen wirkungsvolleren internationalen Vertrag auszuhandeln.

Auf welche Maßnahmen wird in diesem Abkommen besonderer Wert gelegt?

Das vermutlich wichtigste Stichwort dazu heißt in der internationalen Debatte „Equity“ – Gerechtigkeit also oder Gleichstellung. Zuallererst war es bei der Verteilung der Impfstoffe während der Corona-Pandemie zu einem Verhalten der reichen Länder gekommen, das unter anderem vom Generaldirektor der WHO schon im Sommer 2020 als „Impf-Nationalismus“ gegeißelt wurde. Damals begann die Impfkampagne mit den neu entwickelten mRNA-Impfstoffen. Und es waren die reichen Nationen, die sich von den anfangs noch knappen Vakzinen sofort Kontingente mit Milliarden von Impfdosen sicherten. Wer nicht bezahlen konnte, ging leer aus oder musste sich zumindest anfangs mit vergleichsweise kleinen Lieferungen zufriedengeben, wie sie beispielsweise über das am Ende gescheiterte Kooperationsprogramm Covax („Covid-19 Vaccines Global Access“) ermöglicht wurden.

Warum wird im jetzigen Vertragsentwurf das Konzept „One Health“ betont?

Dahinter steckt die Einsicht, dass es der Bevölkerung einzelner Länder letztlich nur dann gesundheitlich gut gehen kann, wenn auch allen anderen Menschen auf der Erde zumindest eine gesundheitliche Grundversorgung gewährt wird. Denn brechen irgendwo auf dem Planeten nicht beherrschbare Krankheiten aus, trifft es früher oder später alle. 

Der Ansatz geht aber noch weiter: Nicht nur der Menschheit selbst, auch den anderen Lebewesen und auch der Ökosphäre der Erde muss es „gut“ gehen, wenn nicht am Ende alle gefährdet sein sollen. Das bezieht sich auf den Klimawandel nicht weniger als auf die schwindende Artenvielfalt. Viren mit Pandemiepotenzial können immer da leicht überspringen, wo Menschen in zuvor unberührte Lebensräume eindringen, um dort zu wildern oder den Raubbau von Rohstoffen voranzutreiben. Weil wir global denken müssen, soll schließlich auch die wissenschaftliche Zusammenarbeit gestärkt werden, um Daten über die Verbreitung eines Erregers oder auch genetische Informationen, wie sie für die Entwicklung eines Impfstoffs benötigt werden, schnell und möglichst über alle Grenzen hinweg zur Verfügung zu haben.

Woran mangelt es beim vereinbarten Text nach Meinung von Kritikern vor allem?

Natürlich spielt die heikle geopolitische Lage auch in einen solchen Vertrag hinein. So soll er zwar völkerrechtlich verbindlich sein. Doch von wem und wie sollen Verletzungen der Regeln geahndet werden? Dass die USA die WHO mit Wirkung vom Januar 2026 verlassen, liegt vor allem an der Sorge um die eigene nationale Souveränität und mögliche Beeinflussungen der WHO durch Kontrahenten wie China. Jedes für die WHO und das Pandemieabkommen verlorene Land aber – zumal ein so gewichtiges wie die USA – reduziert die Wirkung ohnehin vorsichtig formulierter Vereinbarungen, von den finanziellen Einbußen ganz abgesehen. 

Bezweifelt wird von Kritikern auch, dass Impfstoffe, Medikamente oder Tests künftig tatsächlich dahin geliefert werden, wo sie am dringendsten benötigt werden. Der vorliegende Text verpflichtet nämlich nur dazu, 20 Prozent der eigenen Bestände zur Verfügung zu stellen. Das dürfte im Ernstfall aber kaum reichen. Viel Zeit bleibt vielleicht auch gar nicht, den vorliegenden Vertrag zu verabschieden und dann auf das Beste zu hoffen. Denn eine vom bedeutenden Medizinjournal „Lancet“ eingesetzte internationale Kommission von Fachleuten hat vergangenes Jahr die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Pandemie bis zum Jahr 2050 mit weltweit mindestens 25 Millionen Toten abgeschätzt: Sie liegt bei 50 Prozent.

Wann tritt das Pandemieabkommen der WHO voraussichtlich in Kraft?

Zwar ist es am 16. April gelungen, sich nach mehr als drei Jahren auf einen Text zu einigen, der „ein WHO-Abkommen, eine Vereinbarung oder ein anderes internationales Instrument zur Prävention, Vorbereitung und Reaktion auf Pandemien“ ermöglicht. Dieses Vertragswerk wäre dann auch völkerrechtlich verbindlich. Doch zeigen schon die unentschiedenen Formulierungen im Titel, dass noch etliche Hürden im Weg stehen. 

Trotzdem soll der von den Verhandlern verabschiedete Text in Genf bei der 78. Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation vom 19. bis zum 27. Mai offiziell beschlossen werden. Formell in Kraft treten würde dieses Pandemieabkommen allerdings erst am dreißigsten Tag nachdem das sechzigste Mitgliedsland die Ratifizierungsurkunde beim Generaldirektor der WHO hinterlegt hat. Solche komplexen juristischen Verfahren sind üblich, um einem Vertrag auch messbares internationales Gewicht zu geben, bevor er Teil des Völkerrechts wird. Beim Pariser Klimaabkommen von 2015 zum Beispiel dauerte ein ähnlicher Ratifizierungsprozess fast ein Jahr.