Mental Load: Wenn sie sich immer um alles kümmert – und er nichts davon mitkriegt

Verabredung am Wochenende, Arzttermine: Die Mental Load stresst viele Frauen. Eine Expertin erklärt, wie die Organisation der alltäglichen To-dos gerechter verteilt werden kann.

Die Geburtstagstermine, Vorsorgeuntersuchungen und Impftermine im Blick behalten, die Sachen für den Ausflug der Kinder organisieren, der Einkaufszettel fürs Wochenende: Es sind diese vielen kleinen To-dos, die auf den ersten Blick unbedeutend erscheinen. Doch aufsummiert ergibt sich ein intensives Aufgabenpensum. Diese sogenannte Mental Load ist immer noch ungleich verteilt, wie eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt. Demnach sind es meist Frauen und Mütter, die diese Aufgaben im Blick haben. Dabei wollen doch viele Paare aus den alten Rollenmustern ausbrechen. Wie das sein kann, erklärt Laura Fröhlich, Autorin und Referentin zu Mental Load.

Frau Fröhlich, was genau versteht man unter der Mental Load? 
Mental Load meint die tägliche, geistige Alltags- und Familienorganisation. Es geht dabei vor allem darum, unbezahlte Pflegearbeit, die anfällt, zu planen. Es meint aber gleichzeitig auch dieses Gefühl von Überforderung und Überbelastung. Meist liegt die Mental Load immer noch überwiegend bei Frauen.  

Haben Sie ein Beispiel dafür, wie Mental Load aussehen kann? 
Im Privaten geht es vor allem darum, alles im Kopf haben zu müssen: die Wäsche muss noch gewaschen werden, der Urlaub muss geplant und gebucht werden, was gibt es heute zum Abendessen und was muss dafür noch eingekauft werden? Im beruflichen Kontext meint Mental Load meist unbezahlte Mehrarbeit, das kann zum Beispiel das Besorgen von Geschenken für Kollegen sein, das Ein- und Ausräumen der Spülmaschine, Unterstützung bei der Organisation des Sommerfestes. Solche Arbeit wird nicht zusätzlich bezahlt.  

Zwischen Mental Load und Teilzeitarbeit besteht ein direkter Zusammenhang

Sie beschreiben in Ihrer Tätigkeit als Referentin, dass Mental Load im Beruf ein Karrierekiller sein kann. Was genau meinen Sie damit? 
Da gibt es sogar eine Studie von der Boston Consulting Group dazu, in der Frauen, die in einer heteronormativen Beziehung leben, angaben, im Berufsleben zurückzustecken, da sie sich bereits zu Hause um alles kümmern müssen. Die Care-Arbeit, die in der Familie anfällt, hält Frauen im Beruflichen also davor zurück, die Karriereleiter zu erklimmen. Was auch vollkommen nachvollziehbar ist. Wenn bereits im Privaten viele Aufgaben anfallen, sind weniger Kapazitäten übrig im Beruf. Da haben wir wieder einen Grund, wieso sehr viele Frauen nur in Teilzeit tätig sind. Deswegen besteht zwischen Mental Load und der Teilzeitfalle ein direkter Zusammenhang. Wer sich zuständig fühlt für unbezahlte Arbeit, hat weniger Ressourcen für bezahlte.  

Es scheint ein Teufelskreis zu sein: Die Mutter erledigt die familiären Aufgaben und hat dadurch weniger Zeit für eine Vollzeitstelle. Da sie keine Vollzeitstelle hat, wird von ihr weiterhin erwartet, die Care-Arbeit und die Mental Load zu leisten. Wie kommen Frauen aus dieser Falle heraus? 
Ich glaube, es ist wichtig, Männern und gerade Vätern den Zugang zu Teilzeitarbeit zu erleichtern. Es herrscht immer noch dieses toxische Männlichkeitsbild vor, dass Väter viele Überstunden leisten müssen und so wenig Elternzeit wie möglich nehmen sollten. Männer, die sich um Kinder oder pflegebedürftige Elternteile kümmern wollen, müssen besser unterstützt werden. Auf der anderen Seite müssen natürlich auch Mütter entlastet werden. Hier gibt es bereits fortschrittliche Unternehmen, die in der Kantine Essen zum Mitnehmen anbieten, damit abends nicht noch gekocht werden muss, oder die eine Ganztagsbetreuung haben. Das bringt mehr, als wenn man Paaren sagt, sie sollen die Care-Arbeit und die Mental Load im Privaten besser aufteilen. Denn da stoßen Männer und Frauen oft an gläserne Decken.  

Rollenbilder befinden sich im Wandel. Sollte man da nicht eigentlich annehmen können, dass alltägliche Aufgaben von beiden Partnern übernommen werden?   
Wir glauben, wir seien alle längst gleichberechtigt. Aber in der Realität sind diese Rollenbilder immer noch fest verankert. In der Gesellschaft wird nach wie vor erwartet, dass Frauen fürsorglich sind. Ein Beispiel: Am Arbeitsplatz werden unbezahlte Aufgaben wie die Organisation von Betriebsfeiern ganz selbstverständlich den Frauen angeboten. Diesen fällt es dann oft schwer, abzulehnen. Ebenso werden Mütter, die nach einer Geburt früher in den Beruf zurückkehren oder sich nicht um ihre pflegebedürftigen Eltern kümmern möchten, oft als egoistisch oder kalt angesehen. Ein weiteres Problem ist, dass Männer, die sehr stark in Haushaltsaufgaben eingebunden sind, sich bereits gleichberechtigt fühlen. Sie übersehen dabei aber, dass auch die unsichtbare Denkarbeit, also eben die Mental Load, dazugehört. Väter fahren beispielsweise die Kinder zum Kindergeburtstag und holen sie wieder ab. Dass aber auch das Einkaufen von Geschenken und das Eintragen der Feier in den Kalender dazugehören, nehmen sie nicht wahr.  

Was würde geschehen, wenn Frauen sich weigerten, die Mental Load weiterhin zu übernehmen: Denken Sie, Männer wären dann gezwungen, diese Aufgaben selbst mitzudenken und zu erledigen oder würde einfach vieles liegen bleiben?
Beides. Ich glaube erstmal, dass das eine ganz wunderbare Idee wäre. So einen Streik gab es mal in Island. Dort haben Frauen die Care-Arbeit niedergelegt und da hat sich dann wirklich etwas getan. Ich weiß nicht, ob das in Deutschland auch so wäre. Diese Arbeit niederzulegen, ist gar nicht so einfach, denn darunter leiden immer diejenigen, um die ich mich sorge – Kinder oder pflegebedürftige Eltern. Wenn der Anruf beim Zahnarzt vergessen wird, findet der Termin dann eben oft gar nicht statt. Ich habe dennoch den Eindruck, dass sich nur durch Druck etwas verändert, weil diejenigen, die die Mental Load nicht übernehmen, oft noch zu bequem sind. Da müssten Frauen häufiger Nein sagen und darauf verweisen, dass sie ihre eigenen Projekte haben. Ich glaube jedoch, die Einzelperson kann gar nicht so viel ändern, sondern wir brauchen vor allem ein gesellschaftliches Umdenken.

Das Problem an der Mental Load ist, dass sie unsichtbar ist und deswegen häufig nicht wahrgenommen wird. 
Unsichtbarkeit ist ein ganz wesentlicher Aspekt. Unser Arbeitsspeicher ist voll. Hier ist gute Kommunikation wichtig, denn der anderen Person ist das häufig gar nicht klar. Wenn zum Beispiel immer einer die Mülltonne rausbringt, ist das für den anderen keine sichtbare Aufgabe, denn er muss sie ja schließlich nie erledigen. Zu sagen: „Hey, schau mal, was ich immer alles auf dem Schirm habe“, wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Manchmal hat die Person, die sich um alles kümmert, vielleicht Recht mit der Mehrlast, aber man kommt damit nicht weiter, wenn die andere Person immer sagt: „Das macht man doch mit links“ und gar nicht wahrnimmt, wie viel Zeit das eigentlich alles in Anspruch nimmt. Es benötigt aber auf beiden Seiten sehr viel Reflexion und das ist in vielen Beziehungen schwierig. Häufig braucht es noch eine dritte, neutrale Person, wie beispielsweise eine Paartherapeutin oder einen Paartherapeut, denn häufig sind das sehr emotionale Themen.

Haben Sie weitere Tipps wie man die Mental Load besser verteilen kann?  
Mein Supertipp ist, sich einmal wöchentlich am Küchentisch zu treffen und die kommende Woche durchzuplanen und zu besprechen, was ansteht. Das kann enorm dabei helfen, unsichtbare Aufgaben sichtbar zu machen und die Care-Arbeit fair zu verteilen. Zudem ist es wichtig, dass jede Person sich um sich selbst kümmert. Im besten Fall habe ich, um meine Mental Load zu schmälern, eine Lieblingsbeschäftigung, durch die ich abschalten kann und Abstand bekomme von diesem enormen Arbeitsspeicher. Das kann Spazierengehen sein, Sport oder Musik. Diese Tätigkeit sollte man sich dann auch konkret einplanen und sagen, ich gehe Mittwoch um 18 Uhr zum Yoga, Sonntagnachmittag mache ich einen Waldspaziergang. Ein weiterer Tipp ist, zu „journaln“. Also dass man sich jeden Morgen fünf Minuten Zeit nimmt, alles aufzuschreiben und dadurch den Kopf freizubekommen. Diese Zeit für sich ist wichtig, denn viele Menschen mit einer hohen Mental Load stehen kurz vor der Erschöpfungsdepression.

Denken Sie, dass es für eine Partnerschaft für beide Seiten von Vorteil sein kann, wenn die Mental Load paritätisch verteilt ist? Sind solch gleichberechtige Partnerschaften nachweislich glücklicher? 
Dafür bräuchte man noch mehr verlässliche Studien. Ich weiß aber aus Erfahrung, dass es für eine Beziehung Gift ist, wenn eine Person sagt, ich denke alles mit und die andere ignoriert das. Wenn ein Partner das Gefühl hat, ich bin nur Gast in der Gestaltung des Familienlebens, ist das schlecht. Es gibt Familienväter, die kaum Kontakt haben zu den eigenen Kindern, weil sie einfach nie im Familienleben eingebunden waren oder auch das soziale Leben rund um Freundschaften nur von der Frau organisiert und gepflegt wurde. Erstmal kann es bequem erscheinen, wenn ein anderer sich um alles kümmert, aber man verliert dadurch auch etwas. Gerade in heteronormativen Beziehungen führt die Mental Load zu Frust. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Betroffene mir auf Instagram schreiben, dass die Mental Load zur Trennung führte, und dass es ihnen jetzt viel besser geht. Weltweit ist das der dritthäufigste Streitgrund, wenn die Arbeit nicht als fair verteilt empfunden wird.

Wie sieht es mit der Mental Load aus, wenn Paare sich trennen? 
Dann wird es meistens noch ungleicher. Die Mental Load von Alleinerziehenden ist sehr, sehr hoch. Die Tipps, die für Paare gelten, wie beispielsweise das wöchentliche Gespräch am Küchentisch, sind für Alleinerziehende nur teilweise anwendbar. Es muss darüber geredet werden, wie Menschen, die ganz allein sind, unterstützt werden können. Das ist eine gesellschaftliche, aber auch eine politische Aufgabe.

Wäre das Wechselmodell hier eine geeignete Alternative? 
Grundsätzlich könnte das ein Weg sein, die Mental Load nach einer Trennung mit Kindern gleichberechtigter zu verteilen. Aber man sollte nicht außer Acht lassen, dass das Wechselmodell an sich bereits eine hohe Mental Load mit sich zieht. Denn die Kinder haben hier zwei Zuhause. Ich glaube, das ist ein gutes Modell, wenn die Absprachen funktionieren, aber es gibt leider auch den Fall, dass Eltern, die sich getrennt haben, sich nicht gut verstehen. Wenn aber alles funktioniert, kann gemeinsames Erziehen nach einer Trennung eine gute Alternative sein.

Wenn Sie einen Blick in die Zukunft werfen: Denken Sie, dass die Mental Load im Jahr 2040 immer noch hauptsächlich bei Frauen liegen wird oder gibt es Grund zur Annahme, dass sich hier etwas grundlegend ändert? 
Es wird mit Sicherheit besser sein, aber noch lange nicht gleichberechtigt. Laut dem Global Gender Gap Report (Anm. d. Red.: Der Global Gender Gap Report wird seit 2006 jährlich vom Weltwirtschaftsforum World Economic Forum, kurz WEF, veröffentlicht) wird es noch 134 Jahre dauern, bis Gleichberechtigung erreicht ist, wenn wir mit der aktuellen Geschwindigkeit voranschreiten. Solange die Politik dieses Thema nicht ganz nach oben auf die Agenda setzt – so wie es in skandinavischen Ländern bereits der Fall ist – wird es nicht angegangen. Gleichberechtigung muss in Politik und Gesellschaft priorisiert werden, sonst glaube ich, dass wir diese 134 Jahre tatsächlich noch brauchen.